Die Bedeutung von Explorationsbohrungen für Schiefergas in Europa
Autoren: M. Mitschanek, M. Prohaska, G. Thonhauser
Co-Autoren: E. Müller-Huber, J. Schön
Montanuniversität Leoben, Österreich
Publiziert: 20. Februar 2014
In den USA hat die Erschließung von Schiefergasreserven gezeigt, dass eine ökonomische Förderung von Gas und Öl aus unkonventionellen Ressourcen nur unter Berücksichtigung einer Reihe von Faktoren möglich ist. Aus diesem Grund, und auch da es Europas geopolitische Situation sowie seine Energiestrategie erfordert, ist eine viel genauere Beschreibung Europas Schiefergas- und Schieferölvorkommen erforderlich, um die verschiedenen Entwicklungsszenarien aussagekräftig beurteilen zu können.
Zum besseren Verständnis Europas Schiefergasressourcen braucht es spezielle Explorationsprogramme, mit deren Hilfe drei grundsätzliche Fragen beantwortet werden sollen:
- Wie groß sind die potentiellen Schiefergasvorkommen?
- Welche Arten von Gasen und Flüssigkeiten sind zu erwarten?
- Wie hoch ist das Produktionspotential?
Am Lehrstuhl für Tiefbohrtechnik an der Montanuniversität Leoben (Österreich) wird derzeit gemeinsam mit Partnern aus der Industrie an genau diesen Themen gearbeitet. Es wird ein einzigartiges System für umweltfreundliche Bohr- und Fördertechniken entwickelt.
Zur Beurteilung der potentiellen Ressourcen für die weitere Erschließung müssen Explorationsbohrungen an strategischen Punkten durchgeführt werden. Diese Bohrungen haben das Ziel der Beurteilung geologischer Formationen und der Informationsbeschaffung über diese. Hierzu werden die neusten Technologien für Kernbohrungen und Bohrlochmessungen angewandt.
Ziel dieses Artikels ist eine genaue Beschreibung der für die Explorationsphase notwendigen Methoden und Techniken, um das Schiefergaspotential Europas auf strukturierte, effiziente und umweltfreundliche Art und Weise zu beurteilen.
Warum braucht Europa Explorationsbohrungen?
Wie in einer Studie des Zentrums für europäische Reform (Centre of European Reform) deutlich wurde, existieren 50 verschiedene Schätzungen aus unterschiedlichsten Quellen. Die Schätzungen für das Verhältnis von technisch förderbaren Schiefergasressourcen zum Gesamtpotential liegen in der EU zwischen 10% und 35%, wobei die gesamten vorhandenen Gasvorkommen1 auf 2,3 bis 17,6 Billionen m3 geschätzt werden2. Hier zeigt sich eine Abweichung von nahezu Faktor 10.
Man kann also in Europa auf ein nennenswertes Potential schließen. Jedoch zeigen die Zahlen auch, dass bei den Schätzungen viel Unsicherheit existiert. Diese Unsicherheit beruht in erster Linie auf der inhärenten Varianz der Eigenschaften von Schiefergestein, die sich von Bohrung zu Bohrung signifikant unterscheiden können. Aus diesem Grund können sich auch die Produktionszahlen, wie die Erfahrung in den USA gezeigt hat, von Bohrung zu Bohrung erheblich unterscheiden. Die hohe Unsicherheit ist außerdem auf die unzureichende flächenmäßige Erkundung der Schiefergesteine zurückzuführen. Auf 2000km2 kommt nur eine Explorationsbohrung.3
Viele Eigenschaften, die für Schiefer normalerweise beurteilt werden, zeigen enorme Abweichungen, was sich auch auf die unterschiedlichen Produktionsraten im Weiteren niederschlägt. Aus diesem Grund brauchen wir eine wissenschaftliche Herangehensweise, um für Europa eine möglichst genaue Analyse durchführen zu können.
Technologie als Schlüssel
Wie bereits erwähnt, müssen für die Exploration unkonventioneller Resourcen verschiedene Parameter definiert werden.
Als erstes sind die geometrischen und volumetrischen Parameter der Schieferschichten wichtige zu bestimmende Größen. Hier kann im Wesentlichen auf zwei Hauptinformationsquellen zurückgegriffen werden: Messdaten von bereits existierenden/konventionellen Öl- und Gasbohrungen und seismische Messungen aus geologischen Studien.
Die Messdaten ermöglichen eine lückenlose Aufnahme des Gesamtprofils einer Bohrung in Bezug auf physikalische Gesteinseigenschaften und haben den Vorteil, dass sie Schieferschichten mit genauen Tiefenangaben in Beziehung setzen und genaue Definitionen zur Mächtigkeit bieten. Außerdem ermöglichen sie den Vergleich verschiedener Bohrungen, wie in Abbildung 1 zu sehen ist. Der Nachteil ist, dass die Daten keine Informationen zu den Parametern zwischen zwei Bohrungen liefern. Dieses Problem kann durch seismische Messungen an der Oberfläche gelöst werden, welche die Kontinuität und geologische Komplexität über eine größere Distanz oder ein ausgewähltes Gebiet anhand von seismischen 2D oder 3D Messungen wiedergeben. Wie bereits erwähnt ist basierend auf den existierenden Informationen allein keine zuverlässige Schätzung der vorhandenen Ressourcen möglich.
Im nächsten Schritt werden die vorhandenen Gasvorkommen und das Gasförderpotential dieser Formationen ermittelt. Hierzu müssen Bohrungen abgeteuft und Bohrlochmessungen (logging) durchgeführt bzw. Kerne genommen werden. Für die Bohrlochmessungen werden spezielle Sensoren und Messgeräte verwendet, die Informationen über das Gestein rund um das Bohrloch ermitteln. Diese Art der Messdaten wird als indirekte Informationsquelle bezeichnet, aus welcher die Eigenschaften der Lagerstätte ermittelt werden können. Um eine bestmögliche Interpretation der wirklichen Lagerstätteneigenschaften zu erhalten, müssen Bohrlochmessdaten und Bohrkerndaten kombiniert werden.
Darüber hinaus ermöglichen Bohrkerne eine bessere Beschreibung der mechanischen Gesteinseigenschaften und der Fließeigenschaften von Flüssigkeiten und Gasen, die wichtige Informationen für die Komplettierung von später abgeteuften Produktionsbohrungen liefern.
Bohrlochmessungen
Die Durchführung von Bohrlochmessungen ist Standard in der Öl- und Gasindustrie. Bei Bohrlochmessungen in Tonschichten in konventionellen Lagerstätten lag und liegt der Schwerpunkt jedoch mehr auf potentiellen Problemen der Bohrlochstabilität als auf dem Produktionspotential. Für nicht-konventionelle Ressourcen mussten spezielle Messgeräte für die spezifischen Eigenschaften von Schiefern entwickelt werden. Einige der bei der Charakterisierung entstehenden Schwierigkeiten werden hier beschrieben:
Herkömmliche Lagerstättengesteine zeichnen sich oft durch einen weniger komplexen Aufbau und eine einfachere Struktur aus. Außerdem besitzen sie relativ vorhersagbare Eigenschaften. Schiefergesteinsschichten dagegen bestehen aus vielen verschiedenen Komponenten und sind in ihrem Aufbau und der inneren Gesteinsstruktur sehr unterschiedlich.5 Abbildung 2 zeigt ein typisches Schiefergesteinssystem. In konventionellen Sandsteinlagerstätten kommen normalerweise nur eine anorganische Matrix und anorganische Poren vor, die entweder mit Lagerstättenwasser, Kohlenwasserstoffen oder anderen Gasen, wie z.B. CO2 gefüllt sind.
Schiefergestein besitzt im Gegensatz dazu eine organische Matrix und organische Poren. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten bei der richtigen Abschätzung der Zusammensetzung der anorganischen Matrix, vor allem in Bezug auf Tonmineralien, die Menge der organischen Matrix und die Abschätzung der Porosität - Faktoren, die maßgeblich das in den Tonschichten vorhandene Gasvolumen bestimmen.
Aufgrund der zusätzlichen Bestandteile und für den Zweck der Gasförderung müssen daher zusätzliche Parameter definiert werden: Parameter wie Tonanteil, gesamter organischer Kohlenstoff (TOC), Sprödigkeitsindex und einige weitere, können nur ungenau aus den von Schiefergesteins-Formationen gesammelten Bohrlochmessdaten abgeschätzt werden. Der genauste Weg zur Ermittlung dieser Parameter und anderer wichtiger Eigenschaften, wie z.B. der Vitrinitreflexion, von der auf die Reife des Gesteins geschlossen werden kann, ist, diese direkt am Kern zu messen. Eine Messung all dieser Parameter wurde bisher bei existierenden konventionellen Öl- und Gasbohrungen in Europa nicht routinemäßig durchgeführt und ist der Grund dafür, dass vorhandene Daten nicht verlässlich für die Bestimmung des tatsächlichen Kohlenwasserstoffpotenzials verwendet werden können.
Selbst mit der neusten Bohrlochmess-Technik können diese Schwierigkeiten nicht gelöst werden, so dass weiterhin Gesteinsproben genommen werden müssen, um zusätzliche Tests durchführen zu können.
Kernbohrung
Für die Entnahme von Bohrkernen aus einer Bohrung wird eine spezielle Ausrüstung am unteren Ende des Bohrstrangs benötigt. Als erstes schneidet ein Kernbohrer, der wie in Abbildung 3 zu sehen in der Mitte hohl ist, am Umfang das Gestein ein. Danach wird mit einer Hebegarnitur der Kern, Abbildung 4, aus dem Bohrloch gehoben.
Bisher musste bei Anwendung konventioneller Kernbohrmethoden der Bohrstrang in das Loch hinabgelassen, der Kern gebohrt, und der gesamte Strang wieder herausgezogen werden. Dies war ein zeitintensiver Prozess. Heutzutage wird mit der effizienteren Wireline-Kernbohrmethode gearbeitet. Anstatt das gesamte Bohrgestänge aus dem Loch zu ziehen, wird nur das Kernrohr mittels eines Stahlseils aus dem Bohrloch gehoben.
Ein Ziel der Explorationsphase ist das Finden sogenannter Sweet Spots, also Bereiche, deren Eigenschaften ein hohes Produktionspotential versprechen. Laut der BGR Studie liegt die Mächtigkeit der Schiefergesteins-Formationen in Deutschland in einem Bereich von mehreren zehn bis mehreren hundert Metern.9 Für eine erfolgreiche Analyse müssten Kernbohrungen in diesen Abschnitten über die gesamte Länge durchgeführt werden, um herauszufinden, wo die Bereiche mit dem höchsten Potential liegen.
Darüber hinaus ist es von höchster Bedeutung, dass diese Gesteinsproben die Bedingungen im Bohrloch wiedergeben. Die Dauer bis zur Analyse des Kerns, unsachgemäße Handhabung und Transport zwischen Bohreinsatz und petrophysikalischer Analyse des Bohrkerns können Austrocknung, veränderte Fluidsättigungen, Bildung von Rissen, Mobilisierung von Tonmaterial und Veränderungen anderer wichtiger Eigenschaften zur Folge haben, was sich auf die Qualität des Bohrkerns und letztendlich auf die Analyseergebnisse auswirkt. Daher empfiehlt es sich, direkt vor Ort nach Hebung des Bohrkerns aus dem Bohrloch eine Auswertung vorzunehmen.
Charakteristika von Explorationsbohrungen und Anforderungen an die Bohranlagen
In der Praxis werden jedoch nur wenige Explorationsbohrungen abgeteuft. In den Vereinigten Staaten gibt es Angaben zufolge etwa ein Bohrloch pro 400km2.10 Die Zahlen für Europa sind zurzeit, wie bereits erwähnt, sogar noch geringer. Um Umweltbelastungen zu reduzieren, sind Slimhole- oder gar Mikroloch-Bohrungen wertvolle Alternativen zu Standardbohrungen. Ein Bohrloch mit geringem Durchmesser kommt mit kleinen Mengen an Bohrspülung (etwa 1:10) aus und erzeugt verglichen mit Bohrungen mit Standarddurchmessern auch viel weniger Bohrklein und Abfallstoffe (etwa 1:30). Zusatzequipment, sowie die Anforderungen an die Bohranlage können signifikant reduziert werden, wodurch sich wiederum der Energieverbrauch (etwa 1:4) und die für die Arbeiten benötigte Grundfläche des Bohrplatzes (etwa 1:4) reduzieren.11 Ein solcher Ansatz soll eine besonders effiziente Möglichkeit bieten, um die Kosten eines intensivierten Explorationsprogramms ausgleichen zu können.
Bei Einsatz modernster Technik ergeben sich folgende Eigenschaften für Explorationsbohrungen:
- wenige Bohrlöcher verteilt über größere Flächen;
- nur vertikale Bohrungen;
- Fracking ist nicht notwendig;
- geringer Durchmesser der Bohrungen zur Reduzierung der Umweltbelastung;
- kosteneffizient für ein intensives Explorationsprogramm
Zusammenfassung
Um Europas Schiefergaspotential einschätzen zu können, benötigen wir genaue Informationen über das Gestein. Obwohl für die meisten Schieferlagerstätten in Europa bereits Bohrungen, Daten und Bohrkerne existieren, ist deren Nutzen zur Einschätzung genauer Eigenschaften begrenzt. Die Informationsdichte ist derzeit noch zu gering. Um genauere Informationen über die Bedingungen Untertage zu erhalten, sind Explorationsbohrungen unerlässlich. Dabei müssen unbedingt umweltfreundliche und effiziente Technologien angewandt werden, die es erlauben, relevante Explorationsdaten in großem Umfang zu sammeln, mit denen die Größe der unkonventionellen Ressourcen Europas bestimmt werden kann.
Die diskutierten Explorationsbohrungen unterscheiden sich insofern von den Schiefergasbohrungen in den USA, dass keine horizontalen und keine hochvolumigen Fracks notwendig sind, um das Potential der Ressourcen zu bestimmen. Vielmehr werden Slimhole-Bohrungen durchgeführt, die schnelle und effiziente Explorationsbohrungen mit minimaler Umweltbelastung ermöglichen.
Die neusten Techniken im Bereich der Bohrlochmessungen sowie Techniken zur Analyse des Bohrkerns noch am Bohrplatz unmittelbar nach der Entnahme des Bohrkerns sollen klare Informationen über Europas wahres Ressourcenpotenzial liefern.
1 Web page "SHIP" Letzer Besuch der Webseite: 15.01.2014
2 David Buchan, „Can shale gas transform Europe’s energy landscape?“ („Kann Schiefergas Europas Energielandschaft verändern?"), (Weblink) Centre for European Reform, July 2013
3 The European Resource Center for Shale Gas, Tight Gas and Coal Bed Methane. (Europäisches Zentrum für Ressourcen in den Bereichen Schiefergas, Tight Gas und Coal Bed-Methane). Letzer Besuch der Webseite: 15.01.2014
4 Ejofodomi, E., et al., “Integrating All Available Data to Improve Production in the Marcellus Shale”, SPE 144321, ("Einbeziehung aller verfügbarer Daten mit dem Ziel der Verbesserung der Schiefergewinnung in der Marcellus-Formation"), SPE North American Unconventional Gas Conference and Exhibition held in The Woodlands, Texas, USA, 14–16 June 2011
5+6 Bust, V. K., et al., „The Petrophysics of Shale Gas Reservoirs: Technical Challenges and Pragmatic Solutions“, ("Die Petrophysik von Schiefergaslagerstätten: Technische Herausforderungen und pragmatische Lösungen"), IPTC 14631, International Petroleum Technology Conference held in Bangkok, Thailand, 7–9 February 2012
7 Roger, K.L., et al., “Harnessing Multiple Learning Styles for Training Diverse Field Personnel in Conventional Coring Operations”, ("Nutzung unterschiedlichster Lernstile zur Schulung unterschiedlicher Außenteams bei konventionellen Bohrkern-Arbeiten"), IPTC 16654, International Petroleum Conference, Beijing, China, 26-28 March 2013
8 Colorado School of Mines. Web page last visited: 15.01.2014
9 Andruleit, H., et al., „Abschätzung des Erdgaspotentials aus dichten Tonen (Schiefergas) in Deutschland”, Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover, Mai 2012
10 Ejofodomi, E., et al., “Integrating All Available Data to Improve Production in the Marcellus Shale”, ("Einbeziehung aller verfügbarer Daten mit dem Ziel der Verbesserung der Schiefergewinnung in der Marcellus-Formation"), SPE 144321, SPE North American Unconventional Gas Conference and Exhibition held in The Woodlands, Texas, USA, 14–16 June 2011
11 TDE Group. Letzer Besuch der Webseite: 15.01.2014