Gutachten zur Abschätzung der Auswirkungen von Fracking- Maßnahmen auf das oberflächennahe Grundwasser – Generische Charakterisierung und Modellierung
Autoren: Torsten Lange1, Alexander Kissinger2, Martin Sauter1, Rainer Helmig2, Michael Heitfeld3
1Georg-August-Universität Göttingen
2Universität Stuttgart
3Ingenieurbüro Heitfeld - Schetelig, Aachen
Publiziert: 7. Januar 2014
Dieser Text bezieht sich auf die bereits veröffentlichten Artikel “Hydraulic fracturing in unconventional gas reservoirs: risks in the geological system part 1 & part 2” und wurde ursprünglich in Environmental Earth Sciences veröffentlicht, Part 1: September 2013; Part 2: Mai 2013.
Einleitung
Die hier vorgestellte Studie im Rahmen des Informations- und Dialogprozesses der ExxonMobil zur Frackingtechnologie (Ewen et al., 2012) ist die erste größere deutsche Studie zur Quantifizierung von möglichen Grundwasserkontaminationsrisiken durch den Stofftransport von Frack-Fluiden im Grundwasserbereich, initiiert durch deren Verpressung bei der Erdgasgewinnung aus unkonventionellen Lagerstätten. Die diskutierten Fragestellungen ergeben sich einerseits aus dem in der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und den entsprechenden Gesetzen und Verordnungen festgeschriebenen, generellen Besorgnisgrundsatz für das Grundwasser und andererseits aus der intensiven Auseinandersetzung verschiedener gesellschaftlicher Interessensgruppen mit der Thematik. In den USA, wo die Technologie seit langem im industriellen Maßstab und unter anderen gesetzlichen Rahmenbedingungen betrieben wird, gibt es Hinweise auf mögliche oder tatsächliche Beeinträchtigungen des Grundwassers. Es ist daher Ziel dieser und anderer Studien bereits im Vorfeld von Aktivitäten in Deutschland einen Anforderungskatalog zu erarbeiten, der die Gefahren für das Grundwasser bewertet und diese im Falle des Einsatzes der Frackingtechnologie minimiert.
Fragestellungen
Die in der Studie behandelten Fragestellungen betreffen die Abschätzung des Grundwasserkontaminationsrisikos aus dem Transport der, während des Fracking-Prozesses im Gebirge freigesetzten, Fluide und Additive im Deckgebirge und über vorhandene permeable Störungszonen. Für den Transport sind zwei prozessbedingte räumlich-zeitliche Skalen von Bedeutung: der kurzzeitige (etwa 12 Stunden), lokale, vertikale Transport unter hohen Fluiddrücken während der Fracking-Operation (Modell-Szenario 1) und der langfristige (30 Jahre), regionale Transport unter den Bedingungen des regionalen, hydraulischen Gradienten (Modell-Szenario 2) in einem tiefen Grundwasserleitersystem. Untersucht wird ferner die mögliche Migration von Methan aus der Lagerstätte nach Ende der Förderphase in oberflächennahe Grundwasserleiter und in die Atmosphäre (Klimarelevanz, Modell-Szenario 3). Die Betrachtungen konzentrieren sich dabei auf die geologisch verschiedenen Strukturen des Niedersächsischen Beckens und des Münsterländer Kreidebeckens für verschiedene geologische Typlokationen (Settings). Diese Settings decken ein Spektrum von unterschiedlichen geologischen Konstellationen ab, wobei die Deckgebirgsmächtigkeit und die Präsenz von Salzhorizonten und permeablen Störungszonen variiert wurden.
Methodik
Der in der Studie gewählte deterministische Ansatz basiert auf der Entwicklung und Simulation von Szenarien, die ein grundlegendes Prozessverständnis sowie die hinreichende Kenntnis von Systemgeometrien und Kenngrößen erfordern. Ein probabilistischer Ansatz war im Rahmen der Studie nicht möglich, da die hierfür notwendigen, umfassenden Datensätze zur Bestimmung von Eintrittswahrscheinlichkeiten, Schadensumfang und damit Risiken nicht im erforderlichen Umfang existieren. Zusätzlich zum regionalen und lokalen Bezug des Gutachtens wurden Ansätze entwickelt, die generalisierbar, d.h. auch auf andere Standorte übertragbar sind. Dazu zählen die Entwicklung von geologischen Settings und eine betont konservative Herangehensweise unter Berücksichtigung der Auswirkung kumulativer Effekte von für die Prognose ungünstigen, d.h. die Stoffmigration fördernden, Faktoren.
Aus diesem Grund blieben (1) nicht durch Advektion bestimmte Transportprozesse, wie Matrixdiffusion, Sorptions-, Abbauprozesse unberücksichtigt, obwohl sie die Schadstoffmigration in „günstigem Sinne“ erheblich beeinflussen; es wurden (2) unter Beachtung der hydrogeologischen Plausibilität höchste Permeabilitäten und kleinste effektive Porosiäten für (3) vom eigentlichen Frackhorizont bis zum oberflächennahen Grundwasserleiter reichende permeable Störungszonen angenommen. Die operationellen Randbedingungen wurden dabei so gewählt, dass (4) trotz eines Fluidverlustes in hochdurchlässige Strukturen über dem Frackhorizont die maximalen Drücke über den geplanten Maßnahmenzeitraum aufrechterhalten werden, was durch technische Kontrollmechanismen im realen Betrieb unterbunden würde. Es wird somit für sämtliche Szenarien der ungünstigste Fall angenommen, d.h. dass bereits große Mengen an Frackfluid in eine permeable Störungszone im Deckgebirge gelangt wären. Ferner wurden (5) für die Simulation des regionalen Transportes im Münsterländer Kreidebecken maximal mögliche, aufwärtsgerichtete, vertikale Druckpotentialunterschiede angenommen.
Die beschriebene Kumulation ungünstiger Faktoren für die Stoffausbreitung in den einzelnen Szenarien stellen physikalisch mögliche, theoretisch denkbare Extremfälle und somit den oberen Grenzbereich potentiell negativer Auswirkungen von Frack-Maßnahmen dar.
Einen wesentlichen Einfluss auf die Fluidmigration hat die Frack-Höhe, die als Randbedingung in die Transportabschätzung eingeht. Die Pinnacle-Halliburton-Studie (Fisher & Warpinski, 2011) zeigt auf Basis mikroseismischer Messungen von über 3000 einzelnen Frackmaßnahmen in verschiedenen Gebieten und unter variierenden operationalen Bedingungen, dass die hydraulisch erzeugten Frack-Höhen 1500 ft (ca. 500 m) nicht übersteigen und im Regelfall weit darunter liegen.
Neben der umfassenden, geologischen und hydrogeologischen Bestandsaufnahme der Untersuchungsgebiete wurden zur Berücksichtigung der natürlichen, geologischen Heterogenität jeweils Typstandorte (geologische Settings) anhand der für die Stoffausbreitung wesentlichen geologischen Bedingungen ausgewählt. Hauptkriterien waren die Deckgebirgsmächtigkeit sowie die An- oder Abwesenheit von Störungszonen und Salzhorizonten. Die Auswahl der wirksamen, advektiven Transportparameter, der Permeabilität und effektiven Porosität für lithologisch reine Einheiten sowie von Störungen erfolgte einerseits auf Basis einer umfangreichen Literaturrecherche. Andererseits wurden Transmissivitäten für mögliche Störungszonen im Münsterländer Kreidebecken über Mischungsbilanzrechnungen geschätzt. Hierfür wurden die im Umfeld der ausgewählten Settings teilweise erhöhten Salinitäten des oberflächennahen Grundwasser sowie die Salzgehalte des tiefen Cenoman-Turon-Aquifers herangezogen. Die im meist mehrere hundert Meter mächtigen Deckgebirge des Emscher Mergels anzutreffenden erhöhten Salzgehalte wurden im Sinne des konservativen Ansatzes ignoriert.
Ergebnisse
Auf der Basis des vorgestellten Ansatzes wurde der Stofftransport in den o.a. drei Modell-Szenarien simuliert, die Eingangsgößen und Parameter variiert und daraus folgende Ergebnisse abgeleitet:
Die Simulationen zu Szenario 1 (Transport während der Frack-Operation) ergaben einen maximalen vertikalen Fluidtransport für ungünstigste Bedingungen von 50 m. Dieser Wert geht in die Abschätzung von Mindestabständen zwischen Frackspitze und oberflächennahem Grundwasser ein.
Für Szenario 2 (regionaler Tiefentransport) wurde das Niedersächsische Becken nicht berücksichtigt, da hier von einem geschlossenen hydraulischen System in den Erkundungsgebieten bzw. relevanten Teufenbereichen ausgegangen werden kann. Dagegen existiert ein südwestgerichteter, regionaler hydraulischer Gradient im Münsterländer Kreidebecken, welcher je nach Modellannahme theoretisch jährliche Transportweiten im Ein- bis Zehnermeterbereich (max. 25 m) zulässt. Bei hohen vertikalen Druckgradienten ergeben die Simulationen für die ungünstigsten Fälle eine vertikale Migration für den berücksichtigten Zeitraum. Unter realistischer Berücksichtigung von Matrixdiffusion sowie Sorptions- und Abbauprozessen ist jedoch eine erhebliche Reduktion der transportierten organischen Komponenten zu erwarten. Bedingt durch die Überschätzungen aufgrund des betont konservativen Ansatzes lassen sich daher noch keine abschließenden Aussagen zur langfristigen Stoffmigration treffen.
Eine Langzeitmigration (Szenario 3) von Methan aus einer erschöpften Lagerstätte durch das Deckgebirge in die Atmosphäre ist unter konservativen Annahmen möglich: permeable Störungszone, geringe residuale Sättigung bei geringer effektiver Porosität, große, freisetzbare Gasvolumina, geringe Deckgebirgsmächtigkeiten, Abwesenheit von Salzhorizonten. Die Unsicherheiten bezüglich der Eingangsparameter sind jedoch erheblich und müssten standortspezifisch erhoben und bewertet werden.
Empfehlungen
Aus den maximalen Transportdistanzen und hydraulisch erzeugten Frack-Höhen lässt sich ein empfohlener Mindestabstand von zunächst 1000 m zwischen Perforation in der Verrohrung und der Geländeoberkante ableiten: 500 m Frack-Höhe + 200 m vertikale Migrationsdistanz (= zweifache Mobilisierung der Frack-Fluide à 50 m x Sicherheitsfaktor von 2). Die obersten 300 m (oberflächennaher Entspannungs- und Auflockerungsbereich), einschließlich des 100 m mächtigen oberflächennahen Grundwasserleiters werden nicht als barriererelevante Abfolge betrachtet.
Für den Schutz von nutzbaren tiefen Grundwasserleitern wird ein Sicherheitsabstand zwischen der Basis des Grundwasserleiters und der Verrohrungsperforation von 600 m empfohlen: 500 m Frack-Höhe + 100 m vertikale Migrationsdistanz der Frackfluide (= 2 x Fracken à 25 m (basierend auf Modellrechnungen) x Sicherheitsfaktor 2).
Zur Methanmigration werden aufgrund der mangelnden quantitativen Informationen zum Quellterm keine Empfehlungen formuliert. In jedem Fall zeigen mächtige, geringpermeable Deckgebirgsschichten, insbesondere Evaporithorizonte eine effektive Barrierewirkung.
Es wird empfohlen, auf Frack-Maßnahmen in den Trinkwasserschutzzonen 1 und 2, in Heilquellenschutzgebieten, in tektonisch kritisch gespannten sowie tektonisch stark zerrütteten Gebieten oder in der Nähe alter Bohrungen/Schächte zu verzichten. Vor einer Frack-Maßnahme ist eine Standortanalyse einschließlich der Dokumentation des Ist-Zustandes durchzuführen. Grundsätzlich ist ein dem jeweiligen Standort angepasstes Monitoring notwendig.
Referenzen
Lange, T., Sauter, M., Heitfeld, M., Schetelig, K., Brosig, K., Jahnke, W., Kissinger, A., Helmig, R., Ebigbo, A., Class, H. (2013): Hydraulic fracturing in unconventional gas reservoirs: risks in the geological system, Part 1. Environmental Earth Sciences, 70 (8), 3839-3853
Kissinger, A., Helmig, R., Ebigbo, A., Class, H., Lange, T., Sauter, M., Heitfeld, M., Klünker, J., Jahnke, W. (2013): Hydraulic fracturing in unconventional gas reservoirs – Risks in the geological system, Part 2. Environmental Earth Sciences, 70 (8), 3855-3873
Literatur
Fisher, K., & Warpinski, N. (2011): Hydraulic fracture-height growth: real data. Soc Petrol Eng SPE 145949
Ewens, C. Borchardt, D., Richter, S. Hammerbacher, R. (2012): Hydrofracking risk assessment – executive summary.
Weiterführende Literatur
Sauter, M., Helmig, R., Klünker, J., Lange, T., Kissinger, A., Brosig, K., Jahnke, W., Heitfeld, M., Scheltig, K. (2012): Risiken im Geologischen System bei der Fracking-Technologie. Wasser und Abfall, 6, pp. 16-20
Sauter, M., Helmig, R., Scheltig, K., Brosig, K., Kissinger, A., Lange, T., Heitfeld, M., Klünker, J., Jahnke, W., Ebigbo, A., Paape, B. (2012): Gutachten zur Abschätzung der Auswirkungen von Fracking-Maßnahmen auf das oberflachennahe Grundwasser – Generische Charakterisierung und Modellierung.