Einblicke von „Frack Off“ bis „Frackademia“ – wie Schiefergas in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wird

Autoren: Claudia Brändle und Julia Hahn, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse am Karlsruher Institut für Technologie, Deutschland; Ida Rust, Niederländische Organisation für angewandte naturwissenschaftliche Forschung

Publiziert:  16. Mai, 2014


Sowohl in Deutschland als auch in vielen anderen Ländern greifen die Medien die Förderung von Gas mittels Fracking mehr und mehr auf. In großen Überschriften und mit eindrucksvollen Bildern stellen sie den komplexen soziopolitischen Kontext dar, in dem diese mögliche Energiequelle erörtert wird, wobei meist herausgestellt wird, wie in unsicheren politischen Verhältnissen die Unabhängigkeit von schwierigen oder problematischen Gasanbietern erreicht wird. Um Einblicke in diese Diskussionen zu erhalten und die Argumente der verschiedenen Seiten besser zu verstehen, analysieren wir, wie verschiedene Medien dieses Thema darstellen und wie diese von den Lesern geprüft und beurteilt werden. Dabei nutzen wir Artikel zu Fracking in den Online-Ausgaben von Zeitungen und Zeitschriften sowie die begleitenden Kommentare der Leser als Hauptinformationsquellen. Zu weiteren Quellen, welche eine andere Annäherung an das Thema ermöglichen, gehören die auf YouTube geteilten und diskutierten Videos zu Fracking sowie Diskussionen in Online-Communities und sozialen Netzwerken. Anhand dieser Quellen führen wir eine qualitative Medienanalyse durch, deren besonderer Schwerpunkt darauf liegt, welche Argumente häufig gegen oder für Fracking angeführt werden, wie Laien diese aufnehmen und welche zusätzlichen Argumente und Perspektiven sie in ihren Diskussionsbeiträgen teilen. Auch wenn wir uns auf die öffentliche Diskussion in Deutschland konzentrieren, greifen wir dennoch auch auf internationale Quellen zurück und wenden uns damit auch der Wahrnehmung von Fracking in der Öffentlichkeit anderer europäischer Länder und Nordamerikas zu. Wir betrachten dies als einen ersten Schritt, die Diskurse in der Öffentlichkeit und in den Interessengruppen besser kennen zu lernen, zu erfahren, in welcher Beziehung diese zu anderen Kontroversen stehen und unter welchen Bedingungen (falls überhaupt) eine soziale Lizenz möglich sein kann.

Alles in allem scheint Fracking einen empfindlichen Nerv zu treffen. Befürworter der Förderung von Schiefergas betonen die Wichtigkeit der Unabhängigkeit bei der Energieversorgung und heben die lange Erfahrung mit Bohrtechniken und die beherrschbaren Risiken hervor. Seine Gegner sehen die Methode dagegen als lebensbedrohenden Angriff auf Mutter Erde, als Ausdruck unserer Gier nach Energie, die uns immer tiefere Bohrungen in den Boden vornehmen lässt, ohne mögliche Risiken zu berücksichtigen. Diese extreme Kritik findet sich im umstrittenen Film „Gasland“ (2010) von Josh Fox. Dieser Film ist von besonderem Interesse, weil er Fragen aufwirft, wie stark diese Art der Präsentation ihre Zuschauer zu beeinflussen und die Wahrnehmungen oder das Bewusstsein für Risiken zu verändern vermag.

Bei unserer Analyse stoßen wir auf verschiedene Argumente, die von den wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Faktoren des Frackings über die Darstellung der Ansichten von Laien in den Medien bis zu Fracking und Energiepolitik und den emotionalen Aspekten des Themas reichen. Dennoch ist es sehr oft schwierig, die Argumente voneinander zu trennen; sie greifen ineinander, beeinflussen einander und werden von verschiedenen Gruppen zu unterschiedlichen Zeiten vorgebracht. Im folgenden möchten wir den Schwerpunkt auf die von uns als „normative Aspekte des Frackings“ bezeichneten Faktoren legen, weil sie nach unserer Ansicht wichtig sind, um die aufgeworfenen Fragen zu erfassen und deshalb den Diskurs wesentlich bestimmen.

Normative Aspekte des Frackings

Es gibt erhebliche „emotionale“ oder normative Faktoren in der Diskussion um Fracking, welche nicht übersehen werden sollten, wenn es um die Wahrnehmungen dieser Technologie in der Gesellschaft geht. In der Tat würden wir sagen, dass deren Verständnis von wesentlicher Bedeutung für Zuordnung und Analyse der komplexen Debatten ist. Es ist wichtig zu beachten, dass die Meinungen der Bürger zu dieser Technologie, auch wenn es umfangreiche „emotionale“ Faktoren der Wahrnehmung von Fracking in der Öffentlichkeit gibt, nicht als rein emotionale Reaktionen abgetan werden sollten, die jeder Grundlage entbehren oder irrational sind. Leider ist bei der Diskussion um Fracking oftmals genau dies der Fall: vernünftige Argumente und Meinungen von Laien werden oft von Experten als solche rein emotionalen Reaktionen abgetan. Dies lässt sich in verschiedenen Artikeln pro Fracking erkennen, wenn Autoren beispielsweise behaupten, dass „allerdings in Europa Schiefergas dämonisiert wurde”1 oder dass „es falsch wäre, die Förderung von Schiefergas aus rein emotionalen Gründen abzulehnen”.2 Dennoch sind diese emotionalen oder normativen Argumente legitim, weil sie Ausdruck grundlegender gesellschaftlicher oder individueller Werte sind, durch die wir viel über die zugrunde liegenden ethischen Bezugssysteme erfahren. Statt bei einem Defizitmodell anzusetzen, nach dem ein Konflikt über Technologien angeblich gelöst wird, indem die uninformierte und deshalb kritische Öffentlichkeit mehr Informationen erhält, sollten die auf Werten basierenden „emotionalen“ Argumente genauer betrachtet werden.

Ein eindrucksvolles Beispiel, welchen wichtigen Einfluss eine emotionale Annäherung an das Thema auf die Wahrnehmung von Fracking hat, ist die bereits erwähnte, sehr erfolgreiche Dokumentation „Gasland“ von Josh Fox. Als ersten Schritt, um den Einfluss besser zu verstehen, stellen wir daher eine kurze Filmanalyse von „Gasland“ vor. An dieser Stelle wäre es notwendig, insbesondere die Wahrnehmung und Meinungsbildung im Kontext dieser (starken) visuellen Eindrücke weiter detailliert zu untersuchen, um besser den Zusammenhang zwischen visuellen Argumenten zu begreifen und ihren Einfluss auf die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu verstehen.

„Gasland“ erzählt die Geschichte von Josh Fox, dem Regisseur des Dokumentarfilms, dem von einem Bohrunternehmen 100.000 Dollar für das Land seiner Familie geboten wurden. Um die Folgen dieses Angebots zu verstehen, befragte er mehrere Menschen, auf deren Land Gasbohrungen durchgeführt wurden, aber auch Vertreter von Regierungsorganisationen und der Öl- und Gasindustrie. Im Laufe der Dokumentation wird den Zuschauern gezeigt, wie die Produktion von Schiefergas das Grundwasser kontaminiert und die Gesundheit von Mensch und Tier negativ beeinflusst. Die berühmte Einstellung aus Gasland, bei welcher ein Farmer sein Leitungswasser anzündet, wurde schnell weltweit bekannt und machte die Angst vor Fracking noch größer. Wenn man sich die Wahrnehmungen in der Öffentlichkeit anschaut, stellt sich die Frage, wie es diesem Film gelang, die Meinung der Menschen zu Schiefergas so stark zu beeinflussen.

Industrie und Wissenschaftler neigen dazu, auf den Film rational zu reagieren. Sie sagen, dass die in Gasland angegebenen Informationen unvollständig oder sogar falsch sind. Allerdings scheint dieser Versuch, den gezeigten Bildern „rational“ zu begegnen, nur wenig zu bewirken. Die Antwort auf dieses Phänomen findet sich im Wort „Bild“. Josh Fox weiß sehr gut, wie er das richtige Bild schaffen und eine Einstellung mit den richtigen Filtern, Aufnahmewinkeln, Requisiten, Musik und so weiter gestalten kann. Bei einem Medium wie Film oder Fernsehen geht es ausschließlich um die Übermittlung der Informationen. Wenn wir Informationen übermitteln, ist es sehr wichtig zu verstehen, wie Informationen wahrgenommen werden. Darüber hinaus ist es sehr wichtig zu wissen, wer die Zuschauer sein werden. Während Industrie und Wissenschaftler Informationen über den Produktionsprozess und die getroffenen Vorkehrungen zu geben versuchen, wollte Josh Fox eine völlig andere Botschaft übermitteln. Sie lautet: „Schiefergas gefährdet Sie und Ihr Umfeld“. Damit diese Botschaft richtig übermittelt wird, gibt er sich sehr viel Mühe bei ihrer Darstellung. Den von der Bohrung betroffenen Menschen stellt er sich als Freund vor, der sich in derselben Lage befindet. Beim Filmen wechselt er zwischen einer professionellen dynamischen oder statischen Aufnahmetechnik und Handkameraeinstellungen wie in einem „Home-Video“, je nachdem welche Informationen oder Gefühle er kommunizieren möchte. Er untermalt die Bilder mit Musik, von der er weiß, dass seine Zielgruppe sie schätzt und mag. Kurz gesagt, wurde Gasland in der Absicht gedreht, eine bestimmte Botschaft zu übermitteln, was auch bis zu einem gewissen Grad gelungen ist. Um allerdings besser zu verstehen, bis zu welchem Grad, wäre es notwendig, weiter zu untersuchen, wie Zuschauer Gasland und andere Dokumentationen zu Fracking wahrnehmen und beurteilen. Dennoch können wir durch die Analyse der genutzten Bilder einen tieferen Einblick in die Analogien und Argumente der Kritiker von Fracking gewinnen und möglicherweise die komplexen Bezüge und Diskurse besser verstehen, die sich vielfach nicht allein dadurch verdeutlichen lassen, dass „fundiertere Informationen“ zu den technischen Faktoren des Frackings gegeben oder normative Argumente als zu emotional oder irrational abgelehnt werden.

Ein weiterer wichtiger „emotionaler“ Kontext findet sich in der verbreiteten Ablehnung von Atomenergie in Deutschland, welche schließlich zu einem kompletten Ausstieg aus der Atomkraft führte. Zwei Faktoren dieser Ablehnung der Atomenergie könnten für das Fracking von Interesse sein. Der erste Faktor betrifft den Einfluss der emotionalen Aufarbeitung der Atomenergie und ihr Einfluss auf die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. So wurden in den 1980er-Jahren viele Bücher für Teenager veröffentlicht, die sich eingehend mit den Auswirkungen von Atomkatastrophen beschäftigten. Diese Bücher wurden in den meisten Schulen besprochen und könnten daher einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Atomenergie durch diese Schülergenerationen gehabt haben.3 Es wäre interessant zu überprüfen, ob es ähnliche Literatur in anderen Ländern gab, und, falls nicht, ob diese emotional aufgeladene Literatur zum Teil erklären könnte, warum Deutschland das einzige Land war, welches nach dem Störfall von Fukushima einen Ausstieg aus der Kernkraft beschlossen hat. Dies könnte außerdem zeigen, dass der emotionale Faktor einer Technologie wie Atomenergie oder Fracking nicht unterschätzt werden sollte. Sich emotional einer Technologie wie Fracking anzunähern, kann ein wirksames Instrument sein, um Wahrnehmungen in der Öffentlichkeit zu formen.

Außerdem könnte die Bevölkerung in Deutschland, wo es bereits eine starke emotionale Ablehnung der Atomenergie gibt, sogar noch empfänglicher für Filme wie „Gasland“ und andere negative Darstellungen von Fracking sein. Allerdings können nicht nur Gegner, sondern auch Befürworter von Fracking emotionale Ansätze wählen. Es gibt Artikel, welche die Wahrnehmung der Öffentlichkeit zu formen versuchen, indem sie Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und vor wirtschaftlicher Instabilität schüren, sollte Fracking in Deutschland nicht durchgeführt werden.3 Diese Strategie scheint jedoch nicht aufzugehen, weil Menschen, welche diesen Artikel kommentieren, dem Autor und der Zeitschrift vorwerfen, Lobbyisten zu sein, die Zahlen zu manipulieren und die Gefahren dieser Technologie zu verschweigen. Sie führen als Gegenargumente die Wasserverschmutzung, die hohe Bevölkerungsdichte in Deutschland im Vergleich zu den USA und das Risiko möglicher Erdbeben an. Andere Kommentare sind emotionaler und zeigen, dass in der Diskussion über Fracking bestimmte Werte wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz und die Sorge um zukünftige Generationen eine wesentliche Rolle spielen. Befürworter von Fracking werden als Menschen mit den „falschen“ Werten betrachtet, denen Geld wichtiger ist als die Menschen und die Umwelt. Es gibt sogar Kommentare, in denen der oben erwähnte Film „Gasland“ erwähnt wird. Dies zeigt, dass der Film, obwohl er nur auf Englisch zur Verfügung steht und die Situation in den USA beleuchtet, dennoch in der deutschen Öffentlichkeit eine Rolle bei der Wahrnehmung von und der Diskussion über Fracking spielt.

Forschung der Zukunft

Mit unserem qualitativen Ansatz bei der Analyse der verschiedenen Medien hinsichtlich der Wahrnehmung von Fracking waren wir in der Lage, die wichtigsten Faktoren zu diesem Thema sowie die verschiedenen Meinungen und Argumentationsmuster sowohl für als auch gegen Fracking zu bestimmen, die eine deutliche Rolle für die Beurteilung in der Öffentlichkeit spielen. Da unsere Hauptquellen jedoch aus relativ anonymen Kommentaren zu Videos und Online-Artikeln bestehen, verfügen wir über keine konkreten Daten zu Alter, Geschlecht, politischer Orientierung oder sozialer Herkunft der jeweiligen Kommentatoren. Ein nächster Schritt könnte daher darin bestehen, eine quantitative Befragung durchzuführen, um unsere Ergebnisse zu überprüfen und genauere Einblicke zu gewinnen, wie bestimmte Parameter wie Alter oder Geschlecht die Wahrnehmung von Fracking beeinflussen. Die Bildung von Fokusgruppen könnte eine weitere Möglichkeit sein, an repräsentative Daten zu gelangen und zu überprüfen, ob sich die Argumentationsmuster unserer qualitativen Analyse in diesem Szenario wiederholen.

Wir halten eine länderübergreifende Analyse (Deutschland, weitere europäische Staaten und die USA) und einen Vergleich für wichtig, um bestimmte Werte, welche in den „emotionalen“ Argumenten zum Ausdruck kommen, besser zu erkennen. Diese Argumente variieren möglicherweise zwischen den verschiedenen Ländern oder auch innerhalb eines Landes. Eine detaillierte Analyse, wie Wahrnehmungen geformt werden, würde weitere wichtige Einsichten bringen. In diesem Kontext wäre es hilfreich, zu betrachten, inwieweit die Argumente mit anderen umstrittenen Technologien in Zusammenhang stehen oder sogar auf diesen basieren. Gegner von Fracking sehen ihre Argumente häufig im Gesamtzusammenhang mit stark in der Diskussion stehenden Technologien wie der Atomkraft. In Deutschland könnte es für Kritiker von Vorteil sein, Fracking mit ähnlichen Argumenten darzustellen, die sich schon in der Vergangenheit als wirkungsvoll erwiesen haben. Dies ist natürlich einem ständigen Wandel unterworfen. Da die politische Lage angespannter wird und Gaslieferungen unsicherer werden, besteht die Möglichkeit, dass mit den gesellschaftlichen und politischen Diskussionen eine Neubewertung zuvor eindeutiger Sachverhalte, z. B. eines Moratoriums, einhergeht. Daher besteht die Herausforderung für die weitere Forschung darin, diese Entwicklungen auf der Tagesordnung zu behalten und zu versuchen, die Diskurse und Argumente zu verstehen.

Referezen

1+4 Artikel „Mehr Erdgas!“, von Daniel Yergin und Ralf Wiegert, veröffentlicht auf www.zeit.de, 14.01.2014 mit den begleitenden Kommentaren

2 Interview mit Günther Oettinger, veröffentlicht auf www.welt.de, 06.01.2014, von Jochen Gaugele

3 Einen interessanten Kommentar zu diesem Thema finden Sie in „Pädagogische Horrorshow“, von Judith Liere, veröffentlicht auf www.spiegel.de.


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