Schiefergas und verantwortliche Innovation
Autoren: Marloes Dignum und Aad Correljé; Technische Hochschule Delft, Fachbereich Werte, Technik und Innovation, Niederlande
Publiziert: 16. Mai, 2014
Die Aufsuchung und Förderung von Schiefergas stößt in weiten Teilen Europas in der Öffentlichkeit auf Vorbehalte. Es wird als Herausforderung betrachtet, Schiefergas zu gewinnen, sein wirtschaftliches Potenzial zu nutzen und zugleich verantwortlich mit der Umwelt und der öffentlichen Gesundheit umzugehen (Gregory et al., 2012). Im Bericht der Internationalen Energieagentur aus dem Jahre 2010 wird argumentiert, die Industrie brauche eine gesellschaftliche Lizenz für Ihr Handeln (IEA, 2010). Dennoch ist in einigen europäischen Ländern der Widerstand in der Öffentlichkeit seit der Veröffentlichung des Berichts der IEA im Jahre 2010 noch gewachsen. Dies wirft die Frage auf, ob eine solche Akzeptanz in der Öffentlichkeit überhaupt zu erreichen ist. Was würde in eine solche Lizenz für das Handeln einbezogen werden? Ist es möglich, Bedingungen zu formulieren, nach denen die Förderung von Schiefergas von der Öffentlichkeit akzeptiert werden könnte? Kann die Industrie solchen Anforderungen überhaupt gerecht werden? Ist das Vertrauen zu den Unternehmen und Regierungen groß genug, dass die Öffentlichkeit auch glaubt, dass die Bedingungen eingehalten werden? Alle diese Fragen sollten angesprochen werden, wenn über eine gesellschaftlich verantwortliche Förderung von Schiefergas diskutiert wird. In unserer Forschungsarbeit nähern wir uns der Frage der Akzeptanz in der Öffentlichkeit über die verschiedenen Werte an, welche den verschiedenen Interessenvertreter wichtig sind (Correljé et al., in Kürze erscheinend). In diesem Ansatz kommt der Identifizierung von Werten eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, die Akzeptanz in der Öffentlichkeit einzubeziehen und durch gesellschaftlich verantwortliches Handeln Innovationen zu betreiben.
Nach diesem Ansatz müssen die Werte der verschiedenen Interessenvertreter erkannt werden. Die Werte eines bestimmten Interessenvertreters sind wichtig, um zu erkennen, aus welchem Blickwinkel dieser Interessenvertreter die Welt und die Entwicklungen in dieser Welt betrachtet. Diese Werte bestimmen die Normen dieses Interessenvertreters sowie die Anforderungen, welche neue Entwicklungen in der Welt mit sich bringen sollen. Eine Diskussion über ein technisches Konzept, welche die Werte der Interessenvertreter aufgreift und respektiert, liefert Anregungen, um möglicherweise eine Option zu formulieren, welche auf größere Zustimmung stößt (Van de Poel, in Kürze erscheinend).
Damit ein solcher Ansatz funktioniert, ist es wichtig, dass eine offene Diskussion zwischen Interessenvertretern überhaupt möglich ist. Um ein solches Umfeld zu schaffen, ist entscheidend, dass der Widerstand in der Öffentlichkeit ernst genommen wird. Widerstand in der Öffentlichkeit wird oft als etwas betrachtet, das es zu überwinden gilt, dem Fortgang eines Projektes im Weg steht. Wenn mit dem Widerstand in der Öffentlichkeit allerdings so umgegangen wird, wird als Ziel angestrebt, die Auffassungen und Handlungen der Interessenvertreter in eine bestimmte Richtung zu lenken. Zugleich können Emotionen Ausdruck ethischer Einsichten sein und sollten als solche ernst genommen werden (Roeser, 2011). Bei der Suche nach Lösungen ist es wichtig, sich alle Optionen offen zu halten. In dieser Hinsicht ist es wichtig, nicht allein auf die technischen Möglichkeiten zu achten, sondern auch die Ansichten aller wichtigen Interessenvertreter und das institutionelle Konzept, welches mit einer neuen Technologie verbunden ist, im Blick zu haben. Alle diese drei Aspekte sind wichtig, um verantwortlich Innovationen zu betreiben (Taebi et al, in Kürze erscheinend).
Das technische Konzept kann hilfreich sein, um gesellschaftlichen Bedenken zu begegnen. Manchmal kann eine solche Lösung eindeutig und nahe liegend sein. Wenn zum Beispiel Wasser durch Aufbereitung der Fracturing-Flüssigkeiten wieder verwertet wird, muss weniger frisches Wasser verwendet werden. Technische Anpassungen können darüber hinaus einen Ausgleich zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Bedenken schaffen. So kann etwa durch die Nutzung von Trinkwasser statt Oberflächenwasser auf Biozid in der Fracturing-Flüssigkeit zur Verhinderung von Bakterienwuchs verzichtet werden. Durch eine solche Maßnahme wird das Spannungsverhältnis zwischen zwei Faktoren angegangen, die für gesellschaftliche Bedenken sorgen: die Verwendung großer Mengen frisches Wasser und die Verwendung von Chemikalien (BIO Intelligence Service, 2013).
Die zweite Frage ist die Einbeziehung wichtiger Interessengruppen, darunter die Bürger vor Ort, die Stadtverwaltungen, die Industrie und die Nicht-Regierungs-Institutionen (NGOs). Es ist entscheidend, die wichtigen gesellschaftlichen Werte und die Wertekonflikte zwischen den Interessenvertretern kennenzulernen. Durch die Analyse der in der öffentlichen Diskussion vorgebrachten Argumente können zum Beispiel Einsichten zu den Werten gewonnen werden, welche den verschiedenen Interessenvertretern wichtig sind (Correljé et al, in Kürze erscheinend). Mit anderen Worten erhält man Einblicke, was einem bestimmten Interessenvertreter wichtig ist und warum dies der Fall ist.
Darüber hinaus ist auch von Bedeutung, Einsichten in die Dynamik der Debatte zwischen den Interessenvertretern zu gewinnen, sowohl in Hinblick auf die vorgebrachten Argumente als auch auf neu in die Diskussion gebrachte oder nicht mehr genannte Argumente. Es sollte auch auf Verfahren zur Teilhabe geachtet werden, die eine Atmosphäre schaffen, oder nicht schaffen, können, welche einen konstruktiven Dialog erleichtert. Im Idealfall sollte ein solcher Dialog am Anfang der Konzeption stehen, bevor sich Widerspruch regt und die Parteien in ihren Argumenten festgefahren sind. Ein solcher Dialog zwischen den Interessenvertretern sollte ergebnisoffen verlaufen. Dennoch können die verschiedenen Interessenvertreter zu einer unterschiedlichen Interpretation der „Fakten“ gelangen und unterschiedliche Vorstellungen zu den Themen des Dialoges haben. Einerseits ist es besser, zu einer Übereinkunft bei solchen Fragen zu gelangen, etwa über „joint fact finding“, ein Verfahren der gemeinsamen Erfassung der Fakten. Andererseits kann nicht davon ausgegangen werden, dass immer eine Einigung erzielt wird. In diesem Fall kann möglicherweise ein Ausgleich zwischen verschiedenen Werten und Präferenzen gefunden werden.
Die dritte Frage ist, die wichtigen Institutionen in die Konzeption einzubeziehen. Institutionen, wie Gesetze, Standards und Bestimmungen sowie Gebräuche, Traditionen und Gewohnheiten, werden meist auf die bestehenden Gewohnheiten und Abläufe abgestimmt. Sie sollten angepasst werden, um den Merkmalen der Innovationen angemessen gerecht zu werden. Um neue Faktoren der Förderung von Schiefergas angemessen einzubeziehen, sind die wichtigen Institutionen nach den Werten der Interessenvertreter zu gestalten/ umzugestalten. Bei diesen angepassten Institutionen sollten auch Verfahrensfragen wie Zuverlässigkeit, Transparenz und Überprüfbarkeit einbezogen werden. Natürlich müssen die Interessenvertreter die Gewissheit haben, dass diese Regelungen und Bestimmungen genau befolgt werden.
Zu einer gesellschaftlich verantwortlichen Innovation gehört die Beteiligung der Interessenvertreter und eine Berücksichtigung ihrer Werte. Bei einem partizipativen Verfahren ist es wichtig, den Widerstand in der Öffentlichkeit nicht als etwas zu begreifen, das es zu überwinden gilt. Es sollte zum Ziel haben, Abläufe, Institutionen und ein technisches Konzept zu entwerfen, denen die Bevölkerung zustimmt. Ein wichtiger Ausgangspunkt ist, die wichtigen Werte zu erkennen.
Referenzen
BIO Intelligence Service (2013) “Analysis and presentation of the results of the public consultation "Unconventional fossil fuels (e.g. shale gas) in Europe", Final report prepared for European Commission DG Environment; Accessed: February 27, 2014.
Correljé, A., Cuppen E., Dignum M., Pesch U., Taebi B. (forthcoming). Responsible Innovation in Energy Projects: Values in the Design of Technologies, Institutions and Stakeholder Interactions. In Responsible Innovation. Volume II, edited by J. Van den Hoven, E. J. Koops, H. A. Romijn, T. E. Swierstra and I. Oosterlaken: Springer
Gregory K.B., Vidic R.D., Dzombak D.A. (2012) Water management options accociated with the production of shale gas by hydrolic frackturing, Shale Gas Information Platform; Accessed: February 27, 2014
IEA (2010) Golden Rules for a golden age of gas, World Energy Outlook- Special report on unconventional gas; Accessed: December 23, 2013
Roeser S. (2001) “Nuclear Energy, Risk, and Emotions”, Philosophy & Technology, 24:197-201.
Taebi B., Correljé, A., Cuppen E., Dignum M., Pesch U., (forthcoming) Responsible innovation as an endorsement of public values: the need for interdisciplinary research, Journal of Responsible Innovation.
Van de Poel I. (forthcoming). Translating values into design requirements, in Philosophy and Engineering: Reflections on Practice, Principles and Process, D. Mitchfelder, N. McCarty, and D.E. Goldberg, Editors. Springer: Dordrecht.